Die Menschen verdienen Respekt und Höflichkeit

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Karin Ambacher
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Über das FSJ im Übernachtungsheim

Joseph Röhrich absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Übernachtungsheim. Im Interview berichtet der 19-Jährige über seine Beweggründe und Erfahrungen.

Herr Röhrich, Sie haben sich bewusst für die Stelle im Übernachtungsheim entschieden. Was hat Sie dazu bewogen?

Joseph Röhrich: Ich bin offen und kann gut mit den Menschen, die hierherkommen, umgehen.

Haben Sie das vorher schon gewusst? Hatten Sie vorher schon Kontakt zu Wohnungslosen?

Joseph Röhrich: Ja, es gab ein Erlebnis, das mich wohl geprägt hat. Als Erstklässler der Friedrichsauschule kam ich morgens immer an einer Bank vorbei, auf der ein Obdachloser schlief. Vor dem hatte ich Angst. Da nahm meine Mutter eines Tages  eine Tasse Kaffee mit und wir gingen zu ihm. Da habe ich gemerkt: Das ist ein normaler Mensch, den´s halt mal erwischt hat. Seither kennt unsere ganze Familie den Mann, und wir grüßen uns noch heute, wenn wir uns treffen.

Sie begegnen hier sehr vielen unterschiedlichen Menschen und Schicksalen. Was hat sie am meisten überrascht?

Joseph Röhrich: Dass es hier so viele Junge unter 25 gibt. Das ist schon krass. Viele haben keine Ausbildung und sind drogenabhängig. Ich hätte nicht gedacht, dass das so häufig vorkommt. Und es ist schwer, da wieder rauszukommen.

(Immer wieder klopfen während des Gesprächs Gäste an, die ein Anliegen haben. Nicht alle will Joseph Röhrich auf später vertrösten. So öffnet er einem älteren Mann  die Tür. Er kommt gerade aus dem Krankenhaus und will wieder ein Bett - sein Bett, wie er sagt - im Übernachtungsheim beziehen).

Auch mit solchen Fällen hätte ich nicht gerechnet. Der Mann ist eigentlich pflegebedürftig, sieht das aber partout nicht ein. Selbst wenn er eine Wohnung hätte, könnte er dort nicht allein leben.  Es sind auch nicht wenige, die wegen ihrer kleinen Rente gezwungen sind, hier  unterzukommen.

Wie sieht  der Arbeitstag des FSJlers im Ü-Heim aus?

Joseph Röhrich: Das hängt von der Schicht ab. Ich arbeite entweder morgens von 7 bis 16 oder spät von 15.30 bis 23 Uhr. Das Haus ist rund um die Uhr besetzt, die Nachtschicht darf ich als FSJler jedoch nicht übernehmen.

Was machen Sie während Ihrer Schichten?

Joseph Röhrich: Ich sitze an der Pforte und bin da, wenn jemand ins Haus hereinwill und auch, wenn jemand ein Anliegen hat. Ich schaue, dass immer Kaffee und Brot da ist, gebe bei Bedarf Wäsche aus und fülle die Waschmaschine. Wenn es lauter wird im Aufenthaltsraum, kann es schon sein, dass ich dort auch Streit schlichten muss. Besonders gegen Abend kann das passieren. Denn viele kommen alkoholisiert ins Haus. Die brisanteste Zeit ist die vor dem Essen um 18 Uhr, denn dann ist es hier  rappelvoll. Es kommen ja auch Leute von außerhalb, da ist schon ein gewisses Streitpotenzial vorhanden.

Können Sie sich als sehr junger Mann bei Streitereien durchsetzen?

Joseph Röhrich: Ja. Wichtig ist, klar und offen zu sein. Meine Devise scheint zu stimmen: Wer anderen mit Respekt begegnet, kann sich auch Respekt verschaffen. Ich achte auf Höflichkeit, aber auch auf Distanz.  Entscheidend ist zudem, dass wir Mitarbeitenden uns nicht gegeneinander ausspielen lassen.
 

Was haben Sie im FSJ bisher für sich persönlich gelernt?

Joseph Röhrich: Ich sehe die Menschen, die ins Ü-Heim kommen, in einem anderen Licht als früher. Ich weiß, dass jedes Schicksal einen Hintergrund hat und alle, die hierher kommen, etwas mehr oder weniger Gravierendes erlebt haben. Wenn ihr Verhalten von der Norm abweicht, dann hat das Gründe.

Außerdem weiß ich jetzt zu schätzen, welch gute „Startaufstellung“ ich selber hatte. Ich weiß, wieviel es bedeutet, ein eigenes Zuhause und seine Ruhe zu haben. Ich freue mich, dass ich mein Essen selber kaufen und kochen kann und dass ich eine Perspektive habe. Auch wenn ich noch nicht genau weiß, ob und was ich studieren möchte.

Gab es Situationen, in denen Sie es bereut haben, dass Sie das  FSJ im Übernachtungsheim machen wollten?
 
Joseph Röhrich: Nein, keine einzige Sekunde. Es war genau der richtige Schritt. Ich bin hier komplett zufrieden, auch weil das Arbeitsklima sehr gut ist und ich mit den Kolleginnen bestens auskomme.